Samenhandel in Gönningen

Die Anfänge des Gönninger Samenhandels sind nicht mehr genau festzustellen. Bereits 1594 wurde festgehalten, dass Schulmeister Hanns Ruoff einem gewissen Jacob von Saulgen "umb Samen 12 Gulden" schulde. Der breite Handel fing aber wahrscheinlich erst später an. Anfang des 18. Jahrhunderts konnte die wenigen Äcker und Wiesen im Tal die Bevölkerung nicht mehr ernähren. Die armen Gönninger haben Apfelschnitz und Zwetschgen gedörrt und diese zusammen mit Nüssen und Honig im Winter als Hausierer verkauft. Bald kamen auch Sämereien und Blumenzwiebeln dazu.

Der Handel mit Sämereien hatte Erfolg, auch wenn er nur wenige Gönninger reich machte. 1854 war fast die Hälfte der Bewohner im Samenhandel tätig. Von 2500 Einwohnern betrieben 1200 Handel, 900 Männer und 300 Frauen. 200 Händler bereisten Württemberg, 1000 die Nachbarländer und teilweise bis nach Russland und den USA. Fast alle hatten ihr festes Gebiet, den sogenannten Samenstrich. Noch 1870 gingen 40 bis 50 Prozent regelmäßg "auf den Samen". Das waren praktisch alle Bewohner, die konfirmiert waren und nicht zu alt für die Strapazen der Reisen waren. "Was gesund ist und lauffen kann, gehet dem Handel nach."


Die Handelsreisen waren allerdings nicht ungefährlich. 1748 starb Michael Häußler in der Schweiz "auff dem Samen Handel" in einem Spital in Bern. Insgesamt verloren 244 Samenhändler ihr Leben. Zum Andenken an sie wurde in der Gönninger Kirche ein Gedenkstein aus Tuffstein errichtet.


Das Reisen prägte das Lebensgefühl im Dorf. Die verschiedenen Eindrücke aus aller Welt brachten die Reisenden nach Hause mit, was sich auch im Stil einiger Häuser niederschlug. Nicht nur durch diese Weltoffenheit unterschied sich Gönningen deutlich von anderen Dörfern in der Umgegend.


Die Kinder blieben währenddessen zu Hause bei den Großeltern oder in Pflegefamilien. Um tüchtige Händler zu werden, wurde im Dorf auch Wert auf gute Schulbildung gelegt. Es gab sogar eine Realschule, auf der Französisch gelehrt wurde, das war für ein kleines Dorf eine Seltenheit. Auch der 1905 eröffnete Kindergarten war der erste im Oberamt Tübingen.


Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich der Markt. Bessere Verkehrsbedingungen, große Handelshäuser und Geschäfte in den Städten machten den Reisenden Konkurrenz. Nach und nach stiegen die Gönninger auf den Versandhandel um. Die Samen wurden nicht mehr selbst zur Kundschaft gebracht, sondern per Eisenbahn und Post zu den Empfängern geschickt. Die Reisen dienten fortan nur noch dazu, die Bestellungen vor Ort aufzunehmen und die Verbindung zur Kundschaft zu halten. Der Zwerchsack blieb zu Hause.


Mit dem ersten Weltkrieg brachen allerdings die Handelsverbindungen ins Ausland weg. Was danach wieder aufgebaut wurde, machte oft die Inflation und der zweite Weltkrieg zunichte. Nach dem Krieg orientierte sich die Jugend dann auch immer mehr in Richtung Reutlingen und strebte eher nach krisensicherer Arbeit in den Reutlinger Fabriken als im beschwerlichen Handel.


Das führte dazu, dass der Samenhandel in Gönningen nach und nach weniger wurde. Gab es 1950 noch 200 Samenhändler, waren es 1970 nur noch 50 und 2000 gab es gerade mal sechs Firmen. Heute ist mit der Firma Samen-Fetzer nur noch ein einziges Unternehmen übrig geblieben, das hauptberuflich mit Samen handelt.

Packstube im Gönninger Samenhandelsmuseum