Der Gönninger Leichenwagen

Ältere Gönningerinnen und Gönninger erinnern sich bestimmt noch an die Kutsche, die von zwei Pferden gezogen, bis 1966 regelmäßig bei Beerdigungen den Trauerzug bis zum Friedhof anführte. Bisher hatte sich noch niemand mit der Geschichte der Kutsche befasst, die in einem Schuppen untergestellt ist. Nun fanden sich in alten Akten und im Stadtarchiv Unterlagen und Verträge, die Genaues belegen.

Im März 1927 wurde vom Gemeinderat beschlossen, einen neuen Leichenwagen anzuschaffen. Deshalb machten sich am 18. März 1927 die Gemeinderäte jeweils zu zweit und ausgestattet mit einer abzuarbeitenden Liste auf den Weg, um Spenden für den Wagen zu sammeln. Jeder Haushalt wurde aufgesucht. In den Listen sind Spenden zwischen 1.- Mark und einmal 10.- Mark verzeichnet. Die Meisten gaben 1.- oder 2.- Mark, ganz selten findet sich kein Eintrag. Vermutlich traute sich fast niemand nichts zu geben, wenn der Gemeinderat vor der Tür stand. Die Aktion ergab den stolzen Betrag von 788.- Mark.

Die Kutsche wurde danach vom damaligen Gemeinderat unter Schultheiss Sauer am 18. Mai 1927 bei Wagnermeister August Sautter in Tübingen zum Preis von 980.- Reichsmark bestellt. Vertragsinhalt war unter anderem: „Der Leichenwagen ist in nicht zu schwerer, eleganter Form herzustellen, der Bock ist so zu konstruieren, dass jederzeit ein so genanntes Spritzleder angebracht werden kann ... Der Wagen darf während des Baues jederzeit vom Ortsvorsteher, dem Gemeinderat bzw. einer von ihm bestellten Kommission besichtigt werden ...“

Die Lieferzeit sollte 8 Wochen betragen. Ob die Lieferzeit tatsächlich eingehalten wurde ist nicht bekannt. Jedenfalls wurde am 15. September 1927 per Vertrag der erste Leichenwagenführer, Heinrich Weiss, verpflichtet. Pro Beerdigung erhielt er 6,50 Reichsmark. Der Fuhrmann führte den Wagen mit eigenen Pferden, hatte das Gespann jederzeit bereit zu halten und musste die Pferdegeschirre stellen. Decken und Trauerflor wurden von der Gemeinde gestellt. Die Entlohnung wurde 1960 von 15.- auf 20.- D-Mark erhöht, da der Aufwand für Putzen, Anspannen und den Transport ca. 4 Stunden dauerte. Da der Lohn auf relativ niederem Niveau lag wurde 1963 nochmals auf 30.- D-Mark erhöht.

Als 1966 die Leichenhalle am Friedhof eröffnet wurde durften aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses keine Trauerzüge mehr durch Gönningen führen. Den Hinterbliebenen wurde freigestellt, ob sie die Kutsche oder ein privates Beerdigungsunternehmen für den Transport ihrer Verstorbenen nutzen wollten. Soweit bekannt ist, fuhr Fritz Weiss die Kutsche noch bis 1968.

Im Jahr 2012 wurde der Leichenwagen liebevoll und professionell von den Gönninger Bürgern Wolfgang Walter, Uwe Eissler, Jürgen Staiger, Alois Junker, Gerold Bross und der Firma Wagner ehrenamtlich restauriert

2019 fasste der Bezirksgemeinderat Gönningen den Beschluss, den Leichenwagen an das Friedhofsamt, zur Ausstellung in der Aussegnungshalle des Friedhofs Römerschanze, zu verleihen.

 

Christel Pahl
Bezirksbürgermeisterin