Die Gönninger Rossbergschanzen zum Sprechen gebracht

Das Schicksal Schwabens, Reutlingens und der Alb im Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714)

Vortrag von Dr. Wilhelm Borth beim Reutlinger Geschichtsverein im Bürgersaal des Rathauses Gönningen am 19. Mai 2010

Einleitung

Den Anstoß für dieses Thema gab das dreihundertste Gedenkjahr zu der am 13. August 1704 bei Höchstädt an der oberen Donau geschlagenen Schlacht. Der zu der Höchstädter Ausstellung von 2004 herausgegebene Katalog nennt die Schlacht einen “Brennpunkt Europas“. Und Winston Churchill, ein Nachfahre des in der Battle of Blenheim, wie man in England sagt, siegreichen Feldherrn Marlborough, meinte im Rückblick auf diese Entscheidungsschlacht des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714): „Höchstädt verschob die politische Achse der Welt.“ Wir werden sehen, was hinter diesem Diktum steckt. 

Erwähnen möchte ich auch Herrn Helmut Hecht vom Schwäbischen Albverein. Er hat seinerzeit den Reutlinger Geschichtsverein gebeten, die historischen Hintergründe der Wall- und Grabenanlagen auf dem Rossfeld zu näher zu erforschen.

Meine Ausführungen gliedern sich in drei Teile:

  1. Zunächst möchte ich ihnen einen anschaulichen Eindruck von den Wall- und Grabenanlagen des Rossfeldes vermitteln und Sie an dem Rätselraten um die Bedeutung dieses interessanten Bodendenkmals teilhaben lassen. 
  2. Dann gilt es, die internationale Situation zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges zu skizzieren. 
  3. Schließlich gehe ich noch auf das Schicksal Schwabens und unserer Region in diesem europäischen Großkrieg ein.

I. Rätselraten um ein Bodendenkmal

Vom Parkplatz beim Rankkapf aus stößt der vertraute Blick auf den Rossberg im Vordergrund auf eine zunächst von Süden nach Norden führende und beim Schnittpunkt mit der Roßbergstraße allmählich nach Osten und im Wald verlaufende Linie. Sie fällt durch Baum- und Buschvegetation und bei genauerer Betrachtung durch Wall und Graben auf.

Dank einer guten Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Klein von der Abteilung für archäologische Denkmalpflege des Regierungspräsidiums Tübingen konnten die Rossberg- und Buobergschanzen inzwischen vermessen und damit kartographisch gesichert werden.

Wen wundert es, dass diese Wälle und Gräben im geschichtsbegeisterten 19. Jahrhundert die Phantasie beflügelten. Folgen wir kurz ihren Spuren. Zunächst glaubten Altertumsforscher, eine keltisch-germanische Schutzburg, einen zweiten „Heidengraben“ aus vorchristlicher Zeit vor sich zu haben. Sie stellten sich eine Fliehburg am Rossberg vor, in welche die Menschen bei Gefahr im Verzug, sich selbst und ihr Vieh retten konnten. Andere hielten die Wälle für eine Grenzbefestigung des Römischen Reiches, angelegt im ersten nachchristlichen Jahrhundert unter Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr.). Ihr Zweck sei gewesen, die von Nordosten anstürmenden Germanen am Steilrand der Schwäbischen Alb abzuwehren. Hingegen kann man in der Beschreibung des Oberamts Reutlingen aus dem Jahr 1824 nachlesen, dass ältere Gönninger, Wilmandinger und Genkinger von ihren Vätern gehört hätten, dass sie einst beim Schanzen viel verdient hätten.

Schließlich hat Theodor Drück vom Reutlinger Geschichtsverein – er war der erste Schriftleiter unserer Geschichtsblätter – das Rätsel um das „Schanzwerk am Roßberg“ gelöst. Durch eine Untersuchung von Längsverlauf und Querschnitt des Grabens hat er in Zusammenarbeit mit einem Militärspezialisten, dem Tübinger Reserveleutnant Niethammer, 1890 nachgewiesen, dass die Schanzen aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts stammen. Denn an mehreren Stellen wurde die gerade Linie des Grabensystems durch vorspringende Winkelkonstruktionen, sog. Redans, unterbrochen, wie es bei befestigten Bastionen üblich war. Diese Anlage setzt den Gebrauch von Feuerwaffen voraus, denn dank der Vorsprünge konnten man den Angreifer durch frontales und seitliches Sperrfeuer besser unter Beschuss nehmen.

Die damaligen Handfeuerwaffen, die schweren Musketen und leichten Flinten, hatten eine Totalschussweite von 300 Schritt und eine wirksame Feuerkraft von 100 Schritt. Dies passte gut zum Abstand der auskragenden Winkel, die man je nach Form als Redans oder Fleschen oder auch als Scheren und Haken bezeichnete. Mit diesem sog. „Tenaille“-System wollte man, den angreifenden Feind in die Zange nehmen.

 

Bei der Untersuchung der Roßbergschanzen hat Drück ein interessantes Detail entdeckt: Der alte Weg in Richtung Roßberg durchquerte, wie bereits erwähnt, die Schanze da, wo der heutige Hauptwanderweg 1 des Schwäbischen Albvereins verläuft. Dieser Weg war durch zwei ausspringende Doppelwinkel besonders gesichert.

Der Militärfachmann Niethammer, erläuterte die Konstruktion in den Reutlinger Geschichtsblättern folgendermaßen: „Den in der Linie selbst liegenden [äußeren] Winkel musste der Feldweg auch früher schon geschnitten haben...Der [innere] Winkel hinter der Front ist aber unberührt geblieben; um ihn führte der Feldweg herum und so diente dieser zweite Wall dazu, das durch den Schnitt des Feldwegs verlorene Stück der vorderen Linie zu ersetzen bzw. den Feldweg selbst unter verstärktes [Etagen]Feuer zu nehmen.“

Darüber hinaus stellten Drück und Niethammer fest, dass auch der Querschnitt mit Wall und Graben zum Profil der Feldbefestigungen des 18. Jahrhunderts passte.

Der Wall schützte als sog. Brustwehr die Verteidiger und der Graben behinderte den Feind. Dabei war die Schanzenbesatzung mit Musketen, Flinten, Handgranaten und 4,5 Meter langen Spießen, den sog. „Schweinsfedern“ für den Nahkampf ausgerüstet. Andere Hindernisse, wie Pfähle im Graben oder Schleppverhaue aus Ästen oder Wolfsgruben vor den Gräben erschwerten die Annäherung des Feindes. Die Querschnittsskizze zeigt, dass Wall und Graben beeindruckende Maße besaßen.

Alle Brustwehren der Schanzen am Roßberg und Buoberg liegen nach Westen, Norden und Osten, d.h. stets zum Trauf hin. Der Angriff wurde also vom Süden, d.h. von der Albhochfläche her erwartet.

Schließlich zeigt der Schanzenverlauf links und rechts der Rossbergsteige den Hauptzweck der Verteidigungsanlage. Ich möchte dies anhand einer sog. LIDAR-Aufnahme verdeutlichen. LIDAR steht für „Light detection and Ranging“ und ist eine dem RADAR verwandte Methode der optischen Abstandsmessung. Anstatt von Funkwellen, wie beim RADAR, werden jedoch Laserstrahlen verwendet. U.a. liegt hier ein neues Instrument der Luftarchäologie vor, das für uns überraschende Ergebnisse lieferte. Man sieht genau, wie die Schanzenarme in verengendem Winkel auf die alte „Gönninger Staig“ zulaufen, die so von beiden Seiten gut einsehbar und mit Flankenfeuer bestrichen werden konnte. Für die Angreifer lag damit ein gefährliche Engpass, ein sog. „Defilee“ und für die Verteidiger eine wirksame „Defilee-Sperre“ vor, die weder frontal noch seitwärts umgangen werden konnte.

Durch ihre militärhistorisch-archäologischen Analyse der Wall- und Grabensysteme auf der Alb konnten Drück und Niethammer alle bisherigen Theorien widerlegen und leicht zeigen, dass die Roßbergschanzen im Spanischen Erbfolgekrieg zwischen 1701 und 1704 angelegt wurden. Den entscheidenden Artikel verfasste Niethammer in den Reutlinger Geschichtsblättern von 1893.