Evangelische Kirche

Einleitung

Im Jahr 1993 stand eine grundlegende Renovierung der evangelischen Peter-und-Pauls-Kirche in Gönningen an. Unter anderem war es notwendig geworden, im nördlichen Seitenschiff den Fußboden auszubessern sowie im Chorbereich eine Fußbodenheizung einzubringen. Für beide Maßnahmen mußte der bestehende Fußboden um etwa 40 cm abgetragen werden. Dabei kamen bereits in geringer Tiefe archäologische Befunde älterer Bebauung und älterer Schichten zutage. Parallel dazu wurde im Außenbereich ein neuer Drainagegraben um die Kirche angelegt. Auch hierbei konnten interessante Entdeckungen zur älteren Geschichte der Kirche gemacht werden.

Eine systematische archäologische Untersuchung konnte nicht stattfinden. Die erhaltenen Befunde wurden lediglich geputzt und durch Zeichnungen und Fotos dokumentarisch aufgenommen. Trotzdem ist viel Aussagekräftiges, nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Geschichte Gönningens zutage gekommen. Beherrschender Blickfang des Ortes ist die erhöht stehende Peter- und-Pauls-Kirche. Sie ist eindeutiger Mittelpunkt des alten Ortskernes, dessen städtische Vergangenheit – um die Mitte des 13. Jahrhundert wird die Stadt gegründet, eine erste urkundliche Nennung folgte 1287 – am Ortsbild noch deutlich ablesbar ist.

Die Pfarrkirche wird 1275 in einem Steuerregister des Bistums Konstanz als Teil des Dekanats Ofterdingen genannt, ihre Geschichte begann jedoch mit Sicherheit schon in der Zeit der alamannischen Christianisierung. Vermutlich stand am gleichen Platz die Kapelle des Herrschaftshofes, denn nur die damaligen Ortsherren kamen als deren Erbauer in Frage. Das Patronat – dabei handelt es sich um Rechte und Pflichten, die die Stifter ihrer Kirche gegenüber innehatten, z.B. die Besetzung der Pfarrstelle - hatten vielleicht anfänglich die Herren von Hausen (Ober- und Unterhausen im Echaztal) und später die edelfreien Herren von Stöffeln inne. 1300 kam es zusammen mit der Herrschaft der Stöffeln in den Besitz Württembergs. Etwa 1318 wurde Graf Rudolf von Hohenberg-Rottenburg wohl durch seine Heirat mit der Gräfin Irmengard von Württemberg Gönninger Patronatsherr, denn drei Jahre nach seinem Tode (1336) verkaufte dessen Bruder Hugo von Hohenberg zusammen mit der Hälfte von Burg und Stadt den „Kirchensatz ze Ginningen“ an den Grafen Ulrich von Württemberg zurück.

Die alamannische Siedlung – merowingerzeitliche Friehöfe bezeugen ihr hohes Alter - wird erstmals um 1090 im Rahmen von Schenkungen an die Klöster St. Georgen, Zwiefalten und Hirsau als „Ginningen“ erwähnt. Ab dem 12. Jahrhundert zählt es zum Besitz der Herren von Stöffeln, die im 12.Jh. auf dem Stöffelberg ihre Burg errichteten. Unter ihrer Herrschaft erlangte Gönningen Mitte des 13. Jahrhunderts Stadtrechte, die schriftliche Nennung

Gönningens als Stadt erfolgte erstmals 1287. Bezeugt wurde der Stadtstatus noch 1300. In diesem Jahre durch Kauf württembergisch geworden, war Stadt und Burg teilweise als Pfand im Besitz der Herren von Gundelfingen und wie schon erwähnt seit ca. 1318 Heiratsgut der Grafin Irmengard von Württemberg.

1329 verteilten ihr Mann Graf Rudolf von Hohenberg und Graf Ulrich von Württemberg die Gundelfinger Pfandrechte unter sich. Nachdem für kurze Zeit (bis 1331) auch der württembergische Anteil als Pfand in hohenbergischer Hand war, verkaufte Graf Hugo von Hohenberg 1339 für sich und die Kinder seines verstorbenen Bruders Rudolf ihre Hälfte von Gönningen und der Stöffelburg, sowie das erwähnte Kirchenpatronat, an den württembergischen Grafen. In der Zeit zwischen 1345 und 1372 war Stadt und Burg wiederum verpfändet. Diesmal an den Truchseß Ulrich von Urach, der sich Truchseß von Stöffeln nannte, und an dessen Sohn Kuno. Das Gönninger Stadtrecht muß spätestens nach 1388 erloschen sein, als Reutlingen während des Städtekrieges Gönningen und die Stöffelburg erobern konnte und daraufhin die Stadtmauer und andere Bewehrungen niederreißen ließen.

1389 wurden die besetzten Güter an Württemberg zurückgegeben, die zerstörte

Stöffelburg aber vermutlich dem Zerfall überlassen. Wohl als Dienstleute der Herren von Stöffeln anzusehen sind die niederadeligen Herren von Gönningen, also der sog. Ortsadel. Bereits in den 1130er Jahren wurde ein „Landfriedus de Ginningen“ genannt . Weiter werden 1283 ein Otto, 1292 ein Heinrich und 1299 ein Albrecht und ein Her(mann) erwähnt.

Gönningens vor allem jüngere Geschichte ist geprägt durch die Ausformung des Samenhandels als ortsspezifische Wirtschaftsform, deren Wurzeln seit dem Ausgang des 17. Jh. zu fassen sind.

Die Befunde

Die meisten Befunde wurden im gotischen Chor erfaßt. Lediglich im östlichen Durchgangsbereich zum nördlichen Seitenschiff – beim Samenhändlerdenkmal – ist ein schmaler Fundamentstreifen dokumentiert worden.

Phase 0: Friedhofsbereiche

Kirche und Friedhof gehören in früherer Zeit immer zusammen. Und in der Tat erfaßte man im Chorbereich und beim Samenhändlerdenkmal Friedhofsbereiche, die zwar gestört worden waren, jedoch eindeutig als solche zu erkennen waren. Im Chorbereich der Apsiskirche kam unter dem Fußboden eine humose Auffüllschicht zutage, die sowohl Bauschutt als auch menschliche Knochen enthielt. Damit ist diese Schicht älter als der Apsisbau und belegt zum einen durch die Enthaltung menschlicher Knochen, dass hier ein Friedhof gewesen sein muß und zum anderen mit den Resten von Bauschutt, dass man mit

älteren Kirchenbauten, möglicherweise auch mit älteren Steinbauten zu rechnen hat. Ähnliche Schichten, z.T. mit stark humoser und feuchter Beschaffenheit, die auch Knochen und Schädel enthielten, erfaßte man im östlichen Teil des gotischen Chores und vor dem Samenhändlerdenkmal im nördlichen Seitenschiff. Sie bezeugen ebenfalls den alten, die Kirche ehemals umgebenden Friedhof.

Bauphase I: Steinplattengräber (rosa bezeichnet)

Wenig östlich des Triumphbogens des gotischen Chores kamen drei Steinplattengräber zutage. Solche Gräber werden aus hochkant gestellten Steinplatten gebildet, so dass sich eine kistenartige Form ergibt, und mit großen Steinplatten abgedeckt. In der Regel sind diese Gräber ost-westausgerichtet. Bestattungen dieser Art im Innenraum einer Kirche sind hochrangigen,

im allgemeinen adeligen Personen vorbehalten. Interessanterweise wurde eines dieser Gräber unter dem Langhausfußboden

des ältesten, bei der Grabung erfaßten, Kirchenbaues gefunden. Ein Beleg dafür, dass dieses Grab älter als dieser Kirchenbau sein muß! Es blieb bei der archäologischen Befundaufnahme unangetastet und wurde durch das Landesdenkmalamt durch Folien- und Splittabdeckung konserviert.

Untersucht wurden die beiden nördlich davon gelegenen Plattengräber. Das nördliche davon wurde genauer angesehen, jedoch dann vollständig ausgehoben. Das südliche Grab blieb teilweise erhalten (im Phasenplan eingezeichnet). Der Abstand der stehen gebliebenen Platten beträgt maximal 60 cm und minimal 45 cm. In beiden Gräbern fand sich jeweils eine Bestattung, die beide durch die Größe der Skelette wie auch durch den guten Zustand von Knochenbau und Gebiss auffielen. Solche menschlichen Überreste weisen auf eine überdurchschnittlich gute Ernährung und damit auf einen sozial hochstehenden Personenkreis hin, da dieser sich im Gegensatz zu der von ihnen abhängigen Bevölkerung hochwertige Nahrung leisten konnte.

Von diesen Plattengräber konnte jedoch nur eines zeichnerisch dokumentiert und in den Plan aufgenommen werden (Befundnummer 2).

Bauphase II: Apsiskirche (rot bezeichnet)

Im mittleren Bereich des gotischen Chores sind die Mauern einer Apsis aufgedeckt worden. Unter Apsis versteht man einen meist halbkreisförmigen, mit einer Kuppel überwölbten Raum, der im Kirchenbau in der Regel die Funktion des Chorraumes innehatte. Bei der Apsis in der Gönninger Kirche konnte die gesamte Mauerbreite der Apsis mit einem Maß von etwa 1,10 m erfaßt werden. Errichtet wurden die Mauern aus zugehauenen Kalksteinen, verbunden mit sehr lockerem Mörtel. Die Lage der Kirche auf dem

nach drei Seiten steil abfallenden Sockel zeigte sich in der starken Fundamentierung der Apsis. An der nördlichen Außenseite wurde erkenntlich, dass die Apsisfundamente mindestens 1 m in den Boden eingebracht worden sind, um den Bau statisch abzufangen.

Kenntlich gemacht werden konnten auch die Übergangsbereiche zu den nördlichen und südlichen Langhauswänden. Ebenso wurden die Einziehungsbereiche zur Apsis erfaßt, die mit großen Tuffsteinblöcken im Süden und Norden im Mauerwerk betont worden sind. Unter Einziehung versteht man den Übergangsbereich von Chor zu Langhaus, der die geringere Breite des Chores gegenüber der des Langhauses anzeigt, meistens sowohl innen wie außen erkennbar.

Sichtbar wurde nicht nur die Fundamentlagen des Baues. Im Bereich der Apsis hat sich ein bis zu zwei Steinlagen aufgehendes Mauerwerk erhalten, an die von Westen her ein zum Bau gehörender Plattenboden anzieht, so dass man dadurch auch Fundament und Wandbereich unterscheiden kann. Auffallend ist die solide Vermauerung von Fundament und Aufgehendem, ebenso ungewöhnlich ist die Regelmäßigkeit im Steinmaterial.

Ein weiterer Rest eines Fußbodens kam im Übergangsbereich von Kirchenschiff zu Apsis zutage, Dabei handelt es sich um den Fußboden des Langhauses von Bau II. Seine Oberfläche lag etwa 30 cm tiefer als der in der Apsis erfaßte Boden.

Beim heutigen Samenhändlerdenkmal im nördlichen Seitenschiff, sozusagen in Verlängerung der gotischen Chorwand, kam ein ost-westverlaufendes Fundament zutage. Bei näherer Betrachtung wurde deutlich, dass dieses Fundament mindestens zwei Bauphasen bezeichnet. Der südliche Teil dieses Fundamentes war aus kleineren Kalksteinen ohne klar erkennbare Außenschale gemacht, versetzt mit in sehr lockerem Mörtel.

Das Steinmaterial des Fundamentes gleich dem der Apsis. Mit Blick auf die anderen Befunde von Bau II kann man davon ausgehen, dass es sich um einen Rest der nördlichen Langhausmauer von Bau II handelt. Im Außenbereich der Kirche, in der Ecke von gotischem Chor und Turm, entdeckte man zwei Bestattungen, die wahrscheinlich Bezug auf den Apsisbau nehmen. Archäologisch belegt ist jedenfalls, dass diese Gräber älter als die nachfolgende Bauphase IIa sind, da sie vom Fundament des Turmes gestört werden. Diese Gräber sind nicht dokumentiert worden.

Bauphase IIa: Turm (rot gestrichelt bezeichnet)

Der heute noch stehende, sich südlich des Chores befindliche Turm bezeichnet einen Umbau bzw. eine Erweiterung des Apsisbaues. Das im östlichen Bereich des Turmes dokumentierte Turmfundament und sein Verhältnis zu den erfaßten Chorfundamenten macht dies deutlich. Zum einen stößt das Fundament des Chores von Bau III von Osten an das Turmfundament an. Zum anderen zieht das gotische Chorfundament über das Fundament des Turmes. Somit zeigt sich deutlich, dass der Turm älter als Bauphase III sein muß.

Bei der jüngsten Begehung des Turmes konnte im 1.Obergeschoß des Turmes, in der Wand zum Chor hin, ein Teil eines Türgewändes (ein Türgewände ist ein aus zumeist länglichen Steinen gemauerter Türrahmen) entdeckt werden. Damit wurde deutlich – und dies bestätigen auch die Grabungsbefunde – dass der Zugang zum Turm ehemals über eine Stiege oder Empore vom Bereich des heutigen Chorraum aus erfolgt sein mußte und nicht wie heute durch eine Tür vom Chor ins Erdgeschoss des Turmes. Hier sind noch weitere Beobachtungen im Turm notwendig.

Bauphase III: Rechteckchor (blau bezeichnet)

Die Kirche mit dem Apsischor wurde ersetzt durch einen Bau mit einem rechteckigen Chor. Inwieweit diese Baumaßnahme auch den Bereich des Langhauses betroffen hat, ist nicht bekannt. Interessant ist bei dem Rechteckchor, von dem alle drei Fundamente erfaßt worden sind, dass das nördliche Fundament eine enorme Breite von etwa 2 m aufwies. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass das Gelände nördlich der Kirche – heute durch eine Stützmauer befestigt – zur dort vorbeiführenden

heutigen Torstraße stark abfällt. Man mußte aus Platzgründen auf dem Sporn mit der Nordwand nahe an das Gefälle herangehen, so dass statische Gründe die ungewöhnliche Breite des Fundamentes bedingt haben. Wahrscheinlich aus diesem Grund wird das Fundament des Rechteckchores vom gotischen Chor weiterbenützt, so dass möglicherweise noch Teile der Nordwand des Rechteckchores in der heutigen Chorwand erhalten sind.

Dies gilt vielleicht auch für das südliche Fundament des Rechteckchores, da auch dieses als Fundament beim gotischen Chorbau weiterverwendet worden ist. Allerdings ist die gotische Chorwand ebenso breit wie das Fundament des Rechteckchores, so dass es hier keine Versprünge zwischen Fundament und aufgehendem Mauerwerk gibt und somit keine weiteren Rückschlüsse auf den Rechteckchor möglich sind.

Die Fundamente waren aus z. T. plattigen Kalksandsteinen und wenigen Tuffsteinen errichtet worden. Ausgegossen wurden die Mauern mit einem Mörtel, der eine sehr feste Beschaffenheit aufwies. Am Außenbau war die NO-Ecke des Rechteckchores klar zu erkennen: ein großer Steinblock kennzeichnet diese; demgegenüber konnte die SO-Ecke nicht erfaßt werden. obwohl die Außenseite des Fundamentes sichtbar gewesen war. Vor Beginn der archäologischen Untersuchung ist dieser Bereich im Zuge der Baumaßnahmen zugesetzt worden, so dass keine eindeutige Aussage mehr möglich war.

Fundamentreste des Chorbogens zum Rechteckchor konnten ebenfalls erkannt werden. Dabei fällt im nördlichen Bereich des Fundamentes ein großer Kalksandsteinblock auf, dessen Lage und Größe zu der Vermutung führen, dass es sich hierbei möglicherweise um den Abschluß des Choreinzuges handelt. Ein südliches Gegenstück dazu wurde jedoch nicht erfaßt. Der nördliche Bereich des beim Samenhändlerdenkmal erfaßten Fundamentstreifen ist dem Bau III zuzuordnen. Klar zu erkennen waren die Fundamentlagen aus plattigen Kalkbruchsteinen. Der dazugehörige Mörtel zog über die Steinlagen bzw. haftete an den Steinen. Soweit erkennbar, haben sich bis zu maximal drei Steinlagen erhalten. Die Breite des Fundamentes sowie sein Charakter entsprechen den Fundamenten des Rechteckchores.

Bauphase IV: gotischer Chor (gelb bezeichnet)

Um 1400 wurde der Rechteckchor durch den heute noch bestehenden gotischen Chor mit sog. 5/8-Schluß (das bedeutet, dass von einem regelmäßigen Achteck fünf Seiten erbaut worden sind) ersetzt. Im Rahmen der archäologischen Beobachtungen konnten die Fundamentbereiche des gotischen Chores ebenfalls aufgedeckt und dokumentiert werden.

Die südliche und nördliche Chorwand sitzen auf den älteren Fundamenten der Bauphase III auf. Dabei sind zwischen den älteren und jüngeren Mauerbereichen lediglich Ausgleichsfundamente eingebracht worden. Im Bereich der nördlichen Chorwand wurde diese Zwischenlage sehr schlecht ausgeführt. Hier befinden sich lediglich Steine, die jedoch ohne Vermörtelung und nicht in Mauerverbund gesetzt waren. Bei der südlichen Chorwand wurde vermörtelt. Dabei ist z. T. Abbruchmaterial des Rechteckchores zum Ausgleich verwendet worden.

Im Bereich des gotischen Chorbogens konnte das dazugehörige Spannfundament sowie der Unterbau zur Chortreppe erfaßt werden. Das Spannfundament ist aus sorgfältig verlegten plattigen Kalksteinen, die zum großen Teil gebrochen waren, gesetzt worden. Demgegenüber ist die Anzahl der behauenen Steine wesentlich geringer. Das auf dem Spannfundament aufsitzende

Treppenfundament besteht aus sehr großen z. T. behauenen Kalksteinen. Bei den behauenen Steinen handelt es sich um Spolien - darunter ist wiederverwendetes Steinmaterial älterer Bauphasen zu verstehen. Vereinzelt sind auch grün glasierte Dachziegel vermauert worden. Der verbindende Mörtel deckt die Steine fast vollständig ab.

Mit Errichtung des gotischen Chores wurde die westliche Turmwand nach Westen hin verstärkt. Dieser Befund ist im 3. Obergeschoss des Turmes zu sehen, die Baunaht zwischen Turm und Erweiterung ist deutlich zu erkennen.

Bauphase V: Hallenkirche (grün bezeichnet)

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das ältere Langhaus abgebrochen und durch das heutige Kirchenschiff ersetzt. In der Nord-Ost-Ecke zwischen Langhaus und Chor erhielt der heutige Bau seine jetzige, fast quadratische Sakristei. Bei der archäologischen Befundaufnahme wurde der Fundamentbereich der Sakristeiostwand erfaßt. Das Fundament besteht aus großen Kalksteinplatten verbunden mit einem Kalkmörtel, der z.T. auch Ziegelbruchstücke enthält. Es springt gegenüber der aufgehenden Wand um etwa 30 bis 40 cm aus der Mauerflucht nach Osten vor. Die Sakristei besteht – ebenso wie Langhaus und Turmobergeschosse – aus Tuffstein und ist unverputzt.

Ergebnisse der archäologischen Befundaufnahme, mit Blick auf die Ortsgeschichte

Wenngleich keine vollständige Grabung erfolgt ist und eindeutige Aussagen nur für den Bereich des bestehenden Chores getroffen werden können, so zeigt der archäologische Ausschnitt, den man hier gewonnen hat, trotzdem einen interessanten Überblick vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein. Gleichzeitig erweist sich das Ergebnis, wenn auch nicht absolut chronologisch

darstellbar, als Spiegelbild der lokalen Gönninger Geschichte.

Eine frühe "Leutekirche"

Die Befundaufnahme hat gezeigt, dass es vor den eindeutig erfaßten Resten von Bebauung an dieser Stelle ältere Aktivitäten gegeben hat. Gerade die Schicht im Bereich der Apsis, die neben Bauschutt auch menschliche Knochen enthielt sowie die ähnlich beschaffenen Friedhofsbereiche im Ostteil des Chores und beim Samenhändlerdenkmal verdeutlicht dies in hohem Maße. Dieser Hinweis auf einen älteren Friedhof zeigt auf, dass man mit älterer Bebauung, welcher Art auch immer, zu rechnen hat. Eine Bestätigung erhält diese Annahme auch durch die Steinplattengräber, die einen Kirchenbau voraussetzen. Einige Beobachtungen könnten auch als Hinweis auf einen älteren Steinbau verstanden werden. Sie sind jedoch noch so vage, dass hier nicht weiters darauf eingegangen werden soll.

Diese Befunde widerlegen die immer wieder geäußerten Vermutungen, dass eine Kirche an dieser Stelle erst mit der Ernennung Gönningens zur Stadt errichtet worden wäre. Von der Siedlungsentwicklung her, so wird von gleicher Seite aus argumentiert, würde dies im Bereich Unterhof zu erwarten sein, in dem ein großer Reihengräberfriedhof bekannt ist, sich jedoch bei bereits erfolgten archäologischen Untersuchungen keinerlei Hinweise auf einen Kirchenbau ergeben haben.

Auf eine frühe Gründung des Ortes Gönningen verweist sein Name, der sich aus dem Personennamen Ginno und der Endung -ingen zusammensetzt Die alemannischen –ingen-Orte (z.B. Reutlingen, Genkingen, Pfullingen, Öschingen usw.) werden ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. bei der ersten alemannischen Landnahme gegründet. Diese Ansiedlungen entstehen in den fruchtbaren Talauen in der Nähe von Flüssen, Bächen und Quellen, so auch im Wiesaztal.

Wo der Hof des Ginno war, ist bislang unbekannt. Daher kommt eine andere Überlegung der Lösung dieser Frage vielleicht näher. Als Hofbereich des Ginno denkbar wäre nämlich die engere Umgebung der Kirche und so könnte der Ortskern von Gönningen ein bislang unbekannter alter Siedlungsbereich im Gönninger Ortskern gewesen sein. Allein der Flurname „Hinter Höfen“, der den Bereich südlich der Kirche bezeichnet, welcher direkt an den ehemaligen Stadtgraben nach Süden anschließt, weist darauf hin, dass hier wenigstens zwei Höfe existiert haben müssen. Es ist denkbar, dass mit einem dieser Höfe der sog. Oberhof gemeint ist. Das lagemäßige Verhältnis vom ebenfalls als frühen Siedlungsbereich bekannten Oberhof zur Kirche läßt eine siedlungsmäßige Verknüpfung von Oberhof und Kirche möglich erscheinen. Wo der mindestens eine andere Hof lag, ist nicht bekannt. Er wird, wie die anderen frühen Siedlungsbereiche, die Nähe zur Wiesaz gesucht haben, so dass wir, auch aufgrund der topographischen Situation, diesen Hof in unmittelbarer Nähe zur Kirche vermuten können.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass dass das Haus zwischen Graben- und Kirchstr. gegenüber dem Friedhofsbrunnen heute noch „Burg“ genannt wird. Es könnte möglich sein, dass dieser Hof der des Ginno gewesen ist, da sich sowohl Ober- wie Unterhof von der Namensgebung für den Ort her nicht durchsetzen konnten. Die weitere Unterstützung dieser Vermutung

ergibt sich aus der Tatsache des bei der archäologischen Untersuchung erfaßten frühen Friedhofes unter den ältesten erfaßten Kirchenbauten, der eine lange siedlungsmäßige und kirchliche Entwicklung voraussetzt. Man wird daher als Ausgangspunkt der kirchlichen Entwicklung an diesem Platz an eine herrschaftliche Eigenkirche, die dann im Verlauf der Entstehung des Pfarrsystems zur „Leutkirche“, das heißt zur Pfarrkirche wurde, denken können.

Ohne weitergehende archäologische Untersuchungen, aber auch einer kirchengeschichtlichen Nachforschung speziell dieser örtlichen Fragestellung kann jedoch über diese frühe kirchliche und siedlungsgeschichtliche Entwicklung keine endgültige Aussage gemacht werden.

Eine „Stöfflerkirche“?

Ganz klar als hochromanischer Bau anzusprechen ist die Kirche mit dem Apsischor. Obwohl diese Bauform bereits seit karolingischer Zeit (8.-10. Jh.) als häufiger Typ vorkommt, läßt die solide Bauausführung mit exakt ausgeführtem Mauerwerk den Schluß zu, dass die Apsisanlage im 12. Jh. errichtet worden ist. Auch ist die Apsisanlage jünger als die erfaßten Steinplattengräber, welche als Bestattungsform spätestens im 12. Jh. nicht mehr vorkommt und so eine weitere Zeitgrenze gegeben wird, zu der der Apsisbau frühestens entstanden sein kann.

Da von der Apsis der Scheitelpunkt und die südliche Schiffswand mit der Außenschale erfaßt worden ist, kann man ihre Breite bestimmen. So wird der Bau im Bereich des Schiffes eine Außenbreite von ca. 7,40 m gehabt haben. Die Länge des Baues ist nicht bekannt.

Eine Unterscheidung in der Gestaltung des Innenraumes wird durch die beiden erfaßten Fußbodenbereiche gekennzeichnet. Der an den Scheitel der Apsis anschließende Plattenboden liegt ca. 30 cm höher als der im Bereich des Ostabschlusses des Schiffes erfaßte Fußboden. Das bedeutet, dass im Chorbogen von Bau II eine Stufe vorhanden gewesen ist. Damit gab es einen Unterschied in der Höhe des Fußbodens zwischen Langhaus und Apsis, was dem Chorraum gleichzeitig eine höhere Gewichtung bescheinigt.

Die Qualität der Bauausführung bei Bau II kann auch als Hinweis auf seine Bedeutung gewertet werden. Mit Blick auf die lokale Geschichte wäre eine Verbindung zu den Herren von Stöffeln als wahrscheinlich zu sehen. Die Stöffler errichten spätestens im 12. Jh. auf dem Stöffelberg ihre ausgedehnte Doppelburg. Da sie das Patronatsrecht bei der Kirche innehatten, ist gut denkbar, dass sie zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich in Gönningen fest installiert hatten, einen älteren Kirchenbau durch die Apsisanlage ersetzen ließen, auch, um dadurch ein sichtbares Zeichen ihrer herrschaftlichen Bedeutung zu setzen. Naheliegend wäre auch ihre Absicht gewesen, sich hier in der von ihnen erbauten neuen Kirche die Grablege ihrer Familie einzurichten.

Der Turm als „Wahrzeichen“

Im 13. Jh. wird der heute bestehende Turm errichtet. Seine Ostmauer fluchtet exakt mit der Außenumbiegung von Apsis zu südlicher Langhausmauer. Wie die Grabungsbefunde aufzeigen, wird er vor die Außenschale der südlichen Schiffswand gesetzt.

Der Turm besaß ursprünglich einen quadratischen Grundriß. Sichtbar wird dies im 3. Obergeschoss des Turmes, in dem man vom Dachstuhl des gotischen Chores aus deutlich eine Baunaht in der Nordwand des Turmes erkennen kann, welche die Verbreiterung der Westwand des Turmes bei Errichtung des gotischen Chores belegt.

Der Turm ist wehrhaft angelegt. Verdeutlicht wird dies durch die schmalen Schießscharten in der Südwand. Weshalb diese Scharten lediglich in dieser Südwand und nicht wie üblich an allen Seiten eingebracht worden sind, wird wohl nicht zu klären sein. Der Turm hat auf alle Fälle mindestens drei steinerne Stockwerke besessen. Welche Gestalt die ihn nach oben hin abschließenden

Bauteile gehabt haben, ist unbekannt. Es ist sicher anzunehmen, dass das in den Urkunden beschriebene, beim 1842 abgetragene hölzerne Stockwerk jüngeren Datums gewesen ist. Jedoch mit Blick auf gleichartige Kirchen kann man von einem älteren Fachwerkaufbau ausgehen.

Es scheint, als sei nicht nur der Turm, sondern der Kirchhof insgesamt wehrhaft angelegt worden. Die Kirche steht auf einem Tuffsockel, der nach drei Seiten stark abfällt. Ein Blick in das Kiesersche Forstlagerbuch von 1683 bestätigt diesen Eindruck. Die Kirche wirkt als die zentrale Festung des Ortes.

Die Errichtung des Turmes könnte mit der Stadtgründung durch die Herren von Stöffeln in der Mitte des 13. Jh. zusammenhängen. Ende des 13. Jh. umfaßte die kleine Herrschaft der Stöffler den Burgsitz auf dem Stöffelberg und die kleine Stadt Gönningen, sowie das Dorf Öschingen. Der Turm darf somit als Manifestation, als Erkennbarwerden der Rechte, sowohl herrschaftlicher wie auch städtischer Art der Herren von Stöffeln verstanden werden. Damit wurde, da durch das Gönninger Tal wichtige Straßen führten, ein für jeden sichtbares Zeichen der Stöfflerschen Macht gesetzt. Dies könnte gerade aus der Konkurrenzsituation zu Reutlingen, das in derselben Zeit seine Stadtrechte erhält, verständlich werden.

Eine neue Kirche …

Eine weitere Bauphase dokumentiert sich mit dem erhaltenen Rechteckchor. Der Chor besitzt eine auffallende querrechteckige Form, die Innenmaße betragen ca. 6,50 x 4,40 m, im Fundamentbereich erhält man eine Außenbreite von ca. 9,80 m. Da keine datierenden Funde vorliegen, ist eine konkrete zeitliche Einordnung nicht möglich. Der Rechteckchor ist eindeutig jünger als die Apsis, da er das Nordfundament der Apsis überbaut und jünger als der Turm, da sein südliches Chorfundament von Osten an das östliche Turmfundament stößt. Er ist jedoch eindeutig älter als der um 1400 zu datierende heutige Chor. Die im Nordfundament erfaßte Baufuge macht die Trennung zwischen beiden Fundamenten deutlich. Das Fundament des Rechteckchores ist solide gearbeitet, das des gotischen Chores schlecht gemauert.

Eine ortsgeschichtliche Anknüpfung des Umbaues ist nach heutigem Kenntnisstand nicht endgültig möglich, gewisse Überlegungen könnten jedoch einer Lösung nahe kommen. Im 14. Jh. erfährt Gönningen eine sehr wechselvolle Geschichte. Nachdem die Stöffler Burg und Stadt 1300 an die Württemberger abgeben mußten, gab es ein besitzrechtliches Hin und Her

zwischen unterschiedlichen Herren, bis Gönningen 1389 endgültig an Württemberg fiel.

Zwar gab es im Städtekrieg 1388 eine zeitweilige Zugehörigkeit nach Reutlingen, jedoch ab 1389 ist Gönningen wieder, und zwar endgültig, in württembergischer Hand. Der Besitzerwechsel betraf auch das Patronatsrecht. Dieses ging 1300 mit der gesamten Stöfflerschen Herrschaft an Württemberg. Durch Heirat entstand nach 1318 die Teilung der Herrschaft, wovon das Patronatsrecht offenbar nicht betroffen und allein in hohenbergischer Hand war, bis es 1339 zusammen mit ihrer Herrschaftshälfte wieder an Württemberg zurück kam.

Möglicherweise mag der Wechsel in den Besitzverhältnissen ein Impuls zum Umbau im Chorbereich der Gönninger Kirche gegeben haben, zu verstehen in dem Sinne, dass man den wahrscheinlichen Stöfflerbau, spricht die Apsisanlage, durch einen anders gestalteten Bau ersetzen wollte. Eine Datierung des Umbaues auf die 1. Hälfte des 14. Jh. wäre in Hinblick auf die

Bauform des Chores eine schlüssige zeitliche Einordnung, die baugeschichtlich nichts außergewöhnliches bedeuten würde.

Der gotische Chor

Um 1400 wird der Rechteckchor abgebrochen und durch den bestehenden gotischen Chor mit 5/8-Schluß ersetzt. Dieser Chor ist architektonisch betont schlicht gehalten, er erfährt am Äußeren keine Gliederung durch Strebepfeiler, wie z. B. beim wenig älteren Chor der Marienkirche im benachbarten Bronnweiler. Auch im Inneren erfährt der Chor bauliche Zurückhaltung,

vor allem bei den Rippen des Gewölbes.

Auffallend ist auch der langgezogene Vorchor, so wie er heute besteht. Wie im Urbrouillon (dies bedeutet der erste Entwurf für ein amtliches Verzeichnis = Kataster eines Bezirkes oder einer Gemeinde) deutlich zu erkennen ist, steht dies nicht in Zusammenhang mit dem Umbau des 19. Jh., sondern ist Absicht bei Errichtung des Chores. Für diesen Vorchor wurde bei Errichtung sogar die Westwand des Turmes verstärkt (Baunaht im 3. Obergeschoss des Turmes), um die Tiefe des Vorchores zu erreichen. Diese Verstärkung macht deutlich, dass von vorne herein an ein langgezogener Vorchor geplant war. Dokumentiert wird dies auch durch die im Staatsarchiv Sigmaringen vorliegenden Baupläne des 19. Jh. zum Umbau der Kirche.

Zum einen könnten die Gründe für den Umbau liturgischer Art sein. Der Grund für die Gestaltung des gotischen Chores ist aber letztlich unbekannt. Möglich wäre jedoch zum anderen auch der Bezug auf ältere Bebauung. Verschiedene Beispiele außergewöhnlicher Chorgestaltung bei Kirchen, die mit geistlichen Gemeinschaften, wie z.B. Beginenklausen in Verbindung zu

bringen sind, könnten in Gönningen eine ähnliche Situation vermuten lassen, zumal hier eine solche Frauensammlung bestand (Beginen sind in klosterähnlicher Gemeinschaft lebende Frauen ohne Gelübde und Klausur).

Gegen diese Annahme stehen allerdings bisher einige Gründe: Vor allem ist es der äußerst geringe Kenntnisstand zur Geschichte dieser Sammlung. Vergleichsweise standen die Klausen in anderen Städten und Dörfern in der Regel in nächster Nähe zur Kirche, vielfach waren sie sogar an ihr angebaut und hatten damit einen eigenen Zugang zum Kirchenchor. Das abseits im Unterdorf, und auch sehr spät urkundlich genannte Gönninger Beginenhaus entspräche also ganz und gar nicht diesen Gepflogenheiten. Vielleicht handelt es sich um einen späteren Erwerb und das ursprüngliche Domizil dieser Einrichtung müßte noch baugeschichtlich oder archäologisch bei der Kirche gefunden werden. Wie immer die bislang unbekannte Begründung für die Gestaltung des Chores aussehen mag, ein konkreter Bezug zur lokalen Geschichte Gönningens kann bislang nicht hergestellt werden.

Verstärkt deutlich gemacht wird durch den Chorbau um 1400 jedoch ein anderes bauliches Charakteristikum der Kirche. Die Bezugnahme auf ältere Bebauung zieht sich wie ein Leitfaden durch die Baugeschichte der Gönninger Kirche. Dies liegt sicher auch mit darin begründet, dass die Kirche auf einem nach drei Seiten abfallenden Sporn liegt, der nicht allzu üppige Platzreserven für den Bau aufweist. Daher ist es verständlich, wenn die Fundamente des bzw. der Vorgänger aufgenommen werden. Ganz deutlich wird dies im Bereich der Nordwand des gotischen Chores, die auf dem breiten Fundament des Rechtckchores gründet.

Eine letztendliche Klärung der Baugeschichte der Gönninger Peter-und-Pauls-Kirche können nur weiterführende Untersuchungen ergeben. Dazu sind jedoch von Seiten der offiziellen Stellen aktuell weder personelle noch finanzielle Mittel vorhanden. So bleibt zu hoffen, dass kommende Generationen mit den richtigen Mitteln und der nötigen Sorgfalt tätig werden können.

Der Neubau des Langhauses der Peter-und-Paul-Kirche in Gönningen

Das alte Langhaus der Gönninger Kirche war bereits Ende des 18. Jahrhunderts zu klein. Trotz einer wohl nach Erbauung des gotischen Chores um 1400 erfolgten Verlängerung des wahrscheinlich romanischen Langhauses war dieses nicht breiter als der

gotische Chorraum. Das 1821 entstandene sog. Urbrouillon, das die erste katastermäßige Erfassung von Gönningen ist, verdeutlicht dies ebenso wie den Anbau verschiedener Nebenräume wie Sakristei etc. Über die Größe des bis dahin bestehenden Kirchenbaues werden im Urbrouillon ebenfalls Angaben gemacht. Diese erfolgten in Schuh, ein Schuh betrug damals 0,28649 m. In der Umrechnung hatte damit die „alte“ Kirche eine Ost-West-Ausdehnung von 28,22 m sowie eine maximale Breite von 16,46 m. Die Breite des Baues entsprach durch die unterschiedlich großen Anbauten nicht überall den maximalen Maßen.

Der notwendige Neubau des Langhauses erfolgte jedoch nicht aus Antrieb der Gönninger Gemeinde heraus. Nach Errichtung des neuen Rathauses 1760 und des neuen Schulhauses 1811 besaß die Gönninger Gemeindekasse nicht mehr genügend finanzielle Kapazität, um ein solch großes Projekt durchführen zu können. In einem Pfarrbericht von 1827 heißt es: „Sie ist so eng, dass den Schulkindern kein Raum in derselben angewiesen werden kann. ... Eben so wenig finden die Erwachsenen alle Platz in derselben.“

Daraufhin wurde obrigkeitlich sprich: vom württembergischen Staat beschlossen, den Kirchenneubau zu veranlassen.

Nachdem der Umbau auf diese Art und Weise ins Rollen gekommen war, konnte nach Festlegung auf einen Entwurf und Klärung der Bauleitung (Rupp) sowie Vergabe der Gewerke 1842 mit dem Abbruch des alten Langhauses und der oberen Turmgeschosse begonnen werden.

Über das Aussehen der alten Kirche weiß man nicht viel. Der heutige Chor wurde um 1400 errichtet und ist somit das einzige bekannte Bauteil der Kirche. Anzunehmen ist, dass der im Kern romanische Turm bei der Errichtung des gotischen Chores in den oberen Stockwerken verändert worden ist, möglicherweise auch noch in späteren Jahren Änderungen vorgenommen

worden sind.

Im Staatsarchiv Sigmaringen wird der Bauüberschlag, d.h. die Abrechnung über die geleistete Arbeit der einzelnen Gewerke zum Abbruch und Neubau der Gönninger Kirche, verwahrt. Interessanterweise findet sich nun darin ein Hinweis darauf, wie der Turm vor Abbruch der oberen Stockwerke ausgesehen hat.: „So hoch der Turm von Stein aufgeführt ist, was 47 1/2 Schuh (= 13,61 m) beträgt, bleibt derselbe stehen; das auf demselben befindliche hölzerne Stockwerk aber und das baufällige Dach muß abgebrochen werden, was durch die höher werdende neue Kirche geboten ist“.

Immerhin besaß der Turm bereits eine Turmuhr. Darüber steht im Bauüberschlag: „Die drei Glocken und die Uhr herunter zu thun und an einem sicheren Orte aufzubewahren, kann samt den erforderlichen Flaschenzügen kosten“. Weiter heißt es: Die „Hohlziegel vom Thurmdach [sind] behutsam abzunehmen, herunter zu schaffen und an einem solchen Ort aufzubewahren, wo sie dem neuen Bauwesen nicht hinderlich sind: die Stockmauern [sind] ringsum ab[zu]brechen, die Riegelwände am Thurm auszuleeren“.

In gleicher Weise wurde das „alte“ Langhaus abgebrochen. Hierbei blieb es jedoch nicht nur beim Abbruch der Wände, sondern es wurden auch die Fundamente ausgebrochen. Abgebrochen wurde auch die Kirchhofmauer. Darüber heißt es schwäbisch-sparsam im Bauüberschlag: „Die 10´ (10 Fuß = 2,86 m) hohe Kirchhofmauer gegen Abend abzubrechen und die noch brauchbaren Steine zu Wiedergebrauch zu sortieren …“.

Immerhin weiß man durch den Bauüberschlag ein klein wenig über das Inventar der „alten“ Kirche: von „Kirchenstühle[n] und Emporbühnen“ ist da die Rede. Der Einbau von Emporen in einen relativ kleinen Kirchenraum zeigt zum einen die Notwendigkeit der Vergrößerung und zum anderen die im o. g. Pfarrbericht erwähnte Enge in der Kirche auf.

Baumeister Johann Georg Rupp

Johann Georg Rupp ist der Baumeister des Langhauses der Gönninger Kirche und damit der Schöpfer der „modernen“ Gönninger Kirche, wie wir sie heute vor Augen haben.

Johann Georg Rupp, seit 1832 Bauinspektor des Schwarzwaldkreises und somit auch zuständig für das Bauwesen der Stadt Reutlingen, entstammt einer traditionsreichen Reutlinger Steinmetzfamilie. Er wurde am 7. Februar 1797 geboren.

Seine erste Ausbildung erhielt er als Maurer oder Zimmermann, bevor er ans Polytechnikum Stuttgart (heutige Technische Universität) ging, um sich als Architekt ausbilden zu lassen. Nach seiner Staatsprüfung als Bautechniker bekam er eine erste Anstellung in Kirchheim/Teck, im Rahmen derer er vermutlich als Bauführer bei der Errichtung des Schwefelbades in Bad Boll

tätig wurde.

1832 kehrte Rupp in seine Heimatstadt Reutlingen zurück, der er bis 1871 als Stadtbaudirektor diente. Hauptaugenmerk seiner Reutlinger Tätigkeit war die weitere Restaurierung der Reutlinger Marienkirche, die beim Stadtbrand von 1726 schwere Schäden erlitten hatte. Das wichtigstes Ergebnis seiner Arbeit an der Marienkirche war die Rekonstruktion der vom Blitz zerstörten Rose im Westwerk über dem Hauptportal. Hierbei kam Rupps Vorliebe für den gotischen Baustil zutage, den er durch seine Mitarbeit bei der Wiederherstellung des Klosters Bebenhausen intensiv kennengelernt hatte und die bei vielen seiner Projekte aufgenommen wurde. Auch seine Beiratsfunktion im Ulmer Münsterbaukomitee bezeugt Rupps hohe stilistischen Kenntnisse der Gotik. In Reutlingen war Rupp außer bei der Marienkirche noch an vielen Bauprojekten maßgeblich tätig.

Vor allem in den 60er Jahren des 19. Jh. wirkte er fast ausschließlich in Reutlingen. So entstand ca. 1866 die Pomologie an der Alteburgstraße sowie seit Beginn der 60er Jahre das neue Rathaus (im 2. Weltkrieg abgebrannt). Eine gegenüber seiner sonstigen baumeisterlichen Tätigkeit abweichende Unternehmung waren im Jahr 1858 seine archäologischen Untersuchungen

auf der „Alten Burg“ an der Gönninger Landstraße. Er fand in der Tat die Grundmauern eines Turmes und einer Zisterne, deren Entdeckung in der romantischen Verklärung der damaligen Zeit zur Errichtung einer kleinen (heute nicht mehr erhaltenen) Ruine führten.

In der näheren und weiteren Umgebung hat Rupp jedoch bei vielen Bauten seine Handschrift hinterlassen. Sein wohl herausragendstes Werk ist die Erbauung von Schloß Lichtenstein bei Unterhausen in den Jahren 1840-1842. Dabei baute er nach den Vorgaben des Nürnberger Architekten und Malers Alexander Heideloff, der die Baupläne für den Lichtenstein entworfen hatte. Der Einfluss Heideloffs auf das Werk Rupps wird auch bei späteren Bauten, vor allem im Schlösserbereich, spürbar bleiben.

Weitere Werke Rupps sind (nach ihrem Enstehungsdatum nach aufgezählt):

Aufstockung der Dußlinger Schule (1837/38), Umbau des Rathaus Betzingen (1838) sowie der Kirchen in Baisingen und Gomaringen (1840), 1842/44 Langhausneubau der Kirche in Gönningen, vier Jahre später Arbeiten an der Kirche in Vollmaringen (1845) und der Kirche in Bodelshausen (1846/47), 1859 Umbau des Schlosses Hohenmühringen bei Horb sowie 1864 des Schlosses Haunsheim bei Dillingen und 1869 des Schlosses Weitenburg im Neckartal.

Nach 40jähriger Tätigkeit in Sachen Bau tritt Rupp 1871 in den Ruhestand. Anläßlich seiner goldenen Hochzeit erhält Johann Georg Rupp vom Staat den Friedrichsorden und den Ehrentitel „Baurat“ verliehen. Johann Georg Rupp stirbt am 1. März 1883.

Der Entwurf, aus dem nichts wurde …

Interessanterweise gibt es von Rupp nicht nur den Entwurf zum Neubau, wie er verwirklicht worden ist. Ein anderer Entwurf sah den gesamten Abbruch der alten Kirche vor, lediglich der Turm in seinen unteren Stockwerken sowie der langgezogene Vorchor des gotischen Chores sollte erhalten bleiben.

Der Turm wäre gleichsam als östlicher achsialer Mittelturm in der Funktion als Treppenturm (nicht als Chorturm, der ja im Erdgeschoss den Altarraum beinhaltet) mit Zugang vom Erdgeschoß aus stehen geblieben, d.h., der gesamte Kirchenbau wäre nach diesem Entwurf um Vorchorbreite nach Süden verschoben worden. Der ehemalige Vorchor sollte als nördlicher Nebenraum dienen.

Möglicherweise hängt der steile Geländeabfall zur Torstraße mit dieser Überlegung, die Kirche vom Steilen weg hin nach Süden zu verschieben, zusammen. Erbaut werden sollte eine dreischiffige Hallenkirche (Hallenkirche bedeutet: alle Schiffe des Baues sind gleich hoch) mit dreiseitiger Empore und Altar und Kanzel vor der Westwand des Turmes. Stilistisch geplant war diese Version des Umbaues nicht in dem von Rupp bevorzugten gotischen Stil, sondern im italienisch-klassizistischem Stil wie bei der Kirche in Gomaringen, die er wenige Jahre zuvor errichtet hatte.

Die Aufteilung der Längsfassaden mit denen der Wand vorgelegten Säulenlisenen (Lisenen sind senkrechte, aus der Wandfläche hervortretende und diese gliedernde schmale Wandstreifen) hätte sich nach der Breite des Turmes orientiert, so dass sich an beiden Enden der Fassaden schmälere akzentuierte Bereiche ergeben hätten, die gleichzeitig die Zugänge markierten. Eine weiteres wichtiges Gestaltungselement wären die hohen, halbrund abschließenden Fenster gewesen.

Die „moderne“ Gönninger Kirche

Welche Überlegung letztendlich dazu geführt hat, diesen Plan aufzugeben und den Umbau im neugotischen Stil zu realisieren, wird wohl nie bekannt werden. Jedoch ist zu vermuten, dass Rupp in seiner Stilsicherheit und dem Gespür für die Umgebung seiner Projekte sicher erahnt hat, dass in der Enge des ehemaligen Städtchens Gönningen ein italienischer Bau fehl am Platze gewesen wäre; die exponierte Lage der Kirche in Gomaringen neben dem repräsentativen Schloß läßt ein anderes Bauen zu als in Gönningen.

Entscheidend war sicher auch die finanzielle Lage beim Kirchenumbau. Der gotische Stil verlangte nicht zwingend einen Verputz. So konnte auf den heimischen Tuff zurückgegriffen werden. Dies bedeutete zum einen niedrige Transportkosten für das Steinmaterial sowie zum anderen ein Plus für die heimische Wirtschaft.

So entschied man sich für die Beibehaltung des gotischen Chores sowie der romanischen Stockwerke des Turmes. Rupp plante auch hier eine dreischiffige Hallenkirche mit umlaufender Empore mit Altar im Vorchor und der Kanzel an der Nordwestecke des Vorchores sowie einer Sakristei in der Ecke zwischen Chor und nördlichem Seitenschiff.

Am Äußeren erscheint die Kirche in straff gegliederter neugotischer Manier. Das breite Langhaus mit seinem steilen Dach scheint jetzt im Verhältnis zum Chor die richtigen Proportionen bekommen zu haben. Die hohen schlanken Fenster am Langhaus, vor allem am Westgiebel sowie am Turm geben der Kirche ihr charakteristisches Aussehen. Ein übriges trägt der aufgestockte Turm mit seiner hohen, spitzen Haube dazu bei, dass die im 19. Jahrhundert erneuerte und umgebaute Kirche zum heutigen Wahrzeichen von Gönningen geworden ist.

Schlusswort

Den Kirchengebäuden als Mittelpunkt des örtlichen Lebens wurde stets viel Aufmerksamkeit zuteil. Durch An- und Umbauten wurden sie dem Gemeindeleben immer wieder angepasst. Vor allem bedurften sie wegen der regen Nutzung und wegen den sich verändernden Ansprüchen in hohem Maße der Erneuerung und Reparatur - bis heute. Auch die Gönninger Peter-und-Paul-Kirche bildet hierbei keine Ausnahme.

Als Ganzes machen die Grabungs-Befunde deutlich, dass man die archäologische Arbeit nicht von der Baugeschichte des bestehenden Baues trennen kann, sondern dass man das Kirchengebäude als geschichtlich gewachsene Gesamtheit sehen muß – und dass es uns mit einer Jahrhunderte langen Geschichte verbindet.

Quellen

· Beschreibung des Oberamtes Tübingen, 1867, 382 –384.

· Beschreibung des Oberamtes Tübingen, 1867, Neuausgabe 1970, 377–384.

· Das Königreich Württemberg, Bd. 2, 581.

· Der Baumeister Johann Georg Rupp, in: Sonderbeilage Schwäbisches Tagblatt vom 02.09.1988.

· Der Landkreis Reutlingen, Kreisbeschreibung des Landes Baden-Württemberg, Bd. I und II, 1997.

· Die Kunst- und Altertumsdenkmale des Königreichs Württemberg, Schwarzwaldkreis, 1897, 417.

· Heinz Alfred Gemeinhardt, Die früheste schriftliche Erwähnung des Dorfes Gönningen, in: Die Gönninger, „Ein Völklein frisch belebt“, Geschichte und Gegenwart eines Reutlinger Stadtbezirkes, 1992, 17-24.

· Heinz Gerstlauer, Die evangelische Kirchengemeinde, in: Die Gönninger, „Ein Völklein frisch belebt“, Geschichte und Gegenwart eines Reutlinger Stadtbezirkes, 1992, 157–159.

· Ulrike Glage, Brautpaare wandern nach Bronnweiler aus, in: Reutlinger Generalanzeiger vom 14.07.1993.

· Ulrike Glage, Frühzeitlichen Vorgängerinnen auf der Spur, in: Reutlinger Generalanzeiger vom 30.07.1993.

· Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands, Bd VI, 218 Baden-Württemberg, 1965.

· Walter Haas, Die Stöffler und ihre Burgen, in : „Ein Völklein frisch belebt“, Geschichte und Gegenwart eines Reutlinger Stadtbezirkes, 1992, 25-34.

· Klaus Kemmler, Wo des Roßbergs Haupt sich hebet – Die Geschichte einer Gönninger Samenhändlerfamilie, 1991.

· Wilhelm Kinkelin, Heimatbuch Gönningen, anläßlich der 860-Jahrfeieer, 1952, 29 – 34.

· Dieter Quast, Die alemannischen und merowingerzeitlichen Gräber im Umfeld des Runden Berges, Dissertation Tübingen, 1998, 500.

· Gustav Adolf Rieth, Johann Georg Rupp, Baumeister und Denkmalpfleger seiner Heimatstadt Reutlingen, in: Reutlinger Geschichtsblätter, 1974, Nr. 12 (Neue Folge), 59 – 69.

· Renate Schelling, Der Dußlinger „Lichtenstein“, Baurat Johann Georg Rupp hinterläßt ein Denkmal, in: Tübinger Blätter, 1990/91, 23 – 26.

· Hans Schimpf, Gönningen – eine überlebensgeschichte, 1988.

· Württembergisches Urkundenbuch.

Dank

· Dank an Pfarrer Alexander Behrend für die Überlassung der Broschüre

· Dank vor allem Dr. Margarete Walliser für die Aufarbeitung und Zusammenfassung der Befunde und die wissenschaftliche Begleitung der Ausstellung!

· Dank an Horst-Gottfried Rathke als Co-Autor der Broschüre und für seine Stöfflerforschung.

· Dank dem Landesdenkmalamt für alle Unterstützung, vor allem auch die Überlassung der Vergleichsphotos und dem finanziellen Zuschuß!

· Dank dem Staatsarchiv Sigmaringen für die Abdruckgenehmigungen für die Rupp-Entwürfe und die Urkunden!

· Dank an das Stadtarchiv Reutlingen für die „600-Gulden-Urkunde“ für die Ausstellung und für viel Hilfe im Hintergrund!

· Dank dem Heimatmuseum Reutlingen für die Verwendungsgenehmigung für das Rupp-Porträt!

· Dank an das Stadtmessungsamt Reutlingen für das Urbrouillon und die Urnummernkarte!

· Dank Ekkehard Bauer und Erich Bader für die Erstellung der Video-Dokumentation!

· Dank Eugen Keppler für die Überlassung von Photos von der Grabung!

· Dank Rainer Ganzner für seine hilfreichen Berichte über die Grabung!